Mit dem Herzen im Hals

 

Fühlt ihr das? Diese Vorfreude, das Kribbeln. Dieses innere Bedürfnis jeden Tag um 6.00 Uhr den Fernseher anzuschalten, um einen ehemals bankdrückenden Weltmeister bei seiner Expertise zuzuhören. „Heute haben wir Olaf Thon bei uns im Morgenmagazin“. Dieser WM-Vibe den es nur alle 4 Jahre gibt – der Länder zusammenschweißt und aus Depressionen holt. Fühlt ihr das?

 

Ich auch nicht.

 

Falls noch jemand ein Start Up gründen möchte das Schwarz-Rot -Goldene Weihnachtsmützen produziert - ich schenke euch diese Idee. Ein korrupter Verband trifft auf einen Haufen Milliardäre. Voila, jetzt haben wir ne WM und keinen interessierts. Sicher, wer in Leipzig auf der Tribüne gerne Fußballern beim Live-Marketing zuschaut, der wird auch diese Scheiße fressen, aber der eigentliche Fan, der Liebhaber dieses Sports verdrückt ein Tränchen. Sollte sich das Finale mit meinem traditionellen Weihnachtsfilm „Der kleine Lord“ überschneiden bedeutet das einen Heimsieg für den Earl von Dorincourt und seinen Cedric – ich werde mir das nicht antun.

 

Dabei war und ist eine Fußballweltmeisterschaft DAS Ereignis – es hat sich immer nochmal ganz anders angefühlt als eine Bundesliga. Komprimierter, größer, verschlingender auch wenn der Fußball – da wird mir auch Experte Steffen Freund recht geben – meistens keine ganz hohe Qualität hatte. Aber das „Drumherum“. Einen ganzen Monat jede Stunde, jede Sekunde Fußball atmen. Ich kam noch in den Genuss das die Nationalmannschaft den Soundtrack zum Turnier selbst beisteuerte und Perlen deutscher Dichtkunst zusammen mit Village People bei Wetten DASS präsentierte. „Na besser als in Hamburg sei nicht dumm, ein Hamburger in USA der läuft nicht rum“. Ach Lothar, ach Bodo, ach Rudi. Ich vermisse euch.

 

Dass sich die Welt verändert, ist unumgänglich, davor muss, davor darf sich auch der Fußball nicht verschließen. Aber Leute, Katar? Die Welt hat akzeptiert, dass dieser Sport auch in autoritären Staaten gefeiert werden kann. Argentinien 78 und die sicher jetzt unmöglich scheinende WM 2018 in Russland. „Das Turnier muss in solche Länder, um sie von Innen verändern zu können“ wird gerne von Fifa Seite publiziert. Es ist ein altbewährtes Mittel die Strahlkraft dieses Sports bewusst zu überdehnen, wenn es darum geht Argumente für die geographische Ausrichtung zu finden. Wenn, wie in Südafrika alle Krawatten das Land wieder verlassen haben und die prächtigen Stadien vor sich hinrosten, redet man dann gerne die Verantwortung wieder klein. „Der Fußball kann nicht alle Probleme dieser Welt lösen“. Beides ist nicht richtig und schon gar nicht aufrichtig gemeint. Ein kapitalistisches System hat diesen Sport als Gelddruckmaschine entdeckt.

 

„created by poor stolen by rich“ – Gestohlen von Menschen, die diesen Sport ausbeuten und weder Respekt vor dem Spiel noch vor Traditionen oder Jahrhunderten alten Normen haben.

 

Das gute an der Geschichte: Sie können mit unseren Emotionen spielen und sich bis unter die Fußnägel bereichern – sie werden den Fußball nicht zerstören – er ist zu groß, und wird weiterrollen, auch wenn irgendwann die Vögel in den VIP Bereichen ihre Nester bauen.

Klar, wird auch mein Fernseher im Dezember das ein oder andere Fußballspiel zeigen. Und da es seit 20 Jahren kein Hallenmasters gibt wird es auch ein WM-Spiel sein. Wenn ich mir dann mit meiner Deutschland Weihnachtsmütze, erworben vom Fanclub Nationalmannschaft powered by Coca-Cola, den 5ten Glühwein einverleibe, kann sogar einem Miesmacher, einem ewig Gestrigen, diesem Unbelehrbaren ein lautes „Schlaaaand“ über die Lippen kommen.  

Dieses Spiel und seine Geschichten sind zu groß, als dass es jemand freiwillig boykottieren möchte.

Aber die Welt verändert sich. Der Fußball verändert sich.

 

„Vielleicht kann dieses Lied nicht die Spielregeln verändern – aber ich will das Abenteuer genießen, ohne Grenzen und mit dem Herzen im Hals.“

Passender hätte es Gianna Nannini in ihrem Song zur WM 90 nicht formulieren können. Aus einem Un estate Italiana – ein italienischer Sommer ist im Jahr 2022 ein arabischer Winter geworden.

 

Lass die Gianna nochmal singen!!!

 

Wir sehen uns spätestens auf dem Weihnachtsmarkt, bis dahin:

 „Schlaaaaand, Schlaaaaand“

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