14 Jahre
Es sind immer die großen Momente, welche im kollektiven Gedächtnis der Menschen bleiben. Meisterschaften, Pokale, Siege in letzter Sekunde. Das Relegationsspiel in Treschklingen, der Landesligaaufstieg. 1000-fach erzählt. Immer wieder schön.
Aber wenn ein Fußballtrainer 14 Jahre lang im selben Verein, die selbe Mannschaft betreut, dann sind es eher die kleinen Dinge die mich interessieren. So schön und wichtig Erfolge auch sind, schaut man auf lange Amtszeiten von Trainern, findet man nur selten durchgängige Erfolge. Christian Streich, im 12ten Jahr Trainer in Freiburg, ist 2015 mit seiner Mannschaft abgestiegen. Volker Finke, ebenfalls über ein Jahrzehnt im Breisgau musste gleich 5mal runter. Jupp Heynckes wurde in 8 Jahren mit Gladbach nie Meister. Zwischenzeitlich sogar 12ter. Es können demnach nicht nur große Erfolge sein, welche Trainer im Amt halten.
Es sind die Menschen selbst. Wenn am 25.05. gegen 17.20 Uhr der Vorhang fällt, war Georg Böhmann 14 Jahre lang Trainer beim Sportverein. 14 Jahre, die alles beinhalteten, was diesen Sport so schön, so tragisch, so magisch macht. Aufstieg, Abstieg, viele Male ging der Ball kurz vor dem Ende ins Tor – Manchmal ins gegnerische, manchmal ins eigene. Rote Karten, gelbe Karten, der Ball war nicht im Aus, der Ball war im Aus. 14 Jahre Siege, 14 Jahre Niederlagen. 5076 Tage im Leben von Georg Böhmann, in denen nicht ein einziger dabei war, an dem er nicht an diesen Verein dachte – seine Aufgabe – sein Lebenswerk. Kein Trainer war in Reihen auch nur annähernd so lange im Amt wie er. Durch keine Trainerhände gingen mehr Kicker. Sein aktuell jüngster Spieler war bei seinem Amtsantritt 4 Jahre alt.
Eine Geschichte geht zu Ende. Ich werde mich in diesem Artikel nicht mal annähernd darum bemühen objektiv zu sein. Eher freue ich mich darüber, dass ich dabei sein durfte. Das ist keine bedingungslose Huldigung an den Trainer, das ist auch kein geschönter Rückblick. Das sind 3 Teile einer ziemlich langen, ziemlich erfolgreichen, ziemlich ereignisreichen Zeitspanne.
Ungeschönt und ungeschminkt. Dafür aber vielleicht authentischer und weniger langweilig. Ein Zeitzeugenbericht von einem der nicht ohne Stolz behaupten darf:
Ich war dabei als in Reihen Geschichte geschrieben wurde.
Teil 1
Der Freischwimmer
Was würden sie dazu sagen? Ein junger Trainer übernimmt eine Aufstiegsmannschaft. Euphorie liegt in der Luft – 6 Jahre tiefe B-Klasse endlich passé. Jetzt kann uns keiner mehr aufhalten. Die A-Klasse ist nur eine Zwischenstation.
Ok, das Pokalspiel gegen Obergimpern II ging zwar unglücklich mit 8-1 verloren, aber in der Liga wird man schon seinen Weg machen. Wird man?
Die kompletten 5 ersten Saisonspiele verkackten die Herren inklusive ihrem Trainer Georg Böhmann, ehe man der nicht ganz so spitzigen Spitzenmannschaft um Sulzfeld II ein Unentschieden abringen konnte. Pokalaus und Tabellenletzter nach 6 Spieltagen. Es war fast zu Ende bevor es richtig anfing. Ich war Teil dieser Mannschaft. Klar, gab es Stimmen ob Schorsch, zweifellos ein toller Fußballer, auch der richtige Trainer sei. Als Spieler hat man in seinem Coach oftmals nicht nur einen Unterstützer und Förderer, sondern in schwierigen Zeiten auch einen perfekten Sündenbock. Vom ersten Tag an griff jedoch die größte Ressource die Georg als Verantwortlicher Übungsleiter hat. Die Unaufgeregtheit in schwierigen Situationen. Selbst wenn er sich selbst hinterfragt hat, ob er denn der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sei – ich bin sicher er hat sich diese Frage in 14 Jahren etliche Male gestellt – die wenigsten oder niemand wurden in diesen Gedankenprozess eingeweiht. Dadurch hat er selbst damals schon einer komplett verunsicherten Mannschaft ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit gegeben. Er hat in panischen, hektischen Phasen niemals auch nur annähernd Panik und Hektik verbreitet.
Zusätzlich musste er sich während dieser Zeit aus den Fußstapfen eines Aufstiegstrainers Uwe Hengster rausarbeiten. Er hat das instinktiv gleich am Anfang gemacht. Hengster hat dieses Baby über 6 Jahre mit einer unfassbaren Energieleistung hochgezogen. Zwar hat er den Weg für Schorsch selbst frei gemacht und trat auf seinem Gipfel des Erfolgs zurück – aber ganz so schnell konnte er auch nicht davon lassen. Beim Pokalspiel in Obergimpern stand es zur Halbzeit schon 0-5. Ein schweigender Böhmann durfte in der Kabine ebenso wie alle anderen einem schreienden Hengster lauschen. Vor dem Fenster saßen die Zuschauer und fragten sich, wer denn jetzt tatsächlich Trainer sei. Hengster oder Böhmann? Georg kann sich gut auf die Zunge beißen, wenn ihn etwas ankotzt, aber als er aus der Kabine kam, sah man in seinem Gesicht eben die selbige Frage. Wer ist hier der Boss? Ich kann bis heute nicht sagen, ob diese Frage intern ausdiskutiert wurde, oder ob der Gesichtsausdruck von Böhmann ausreichte. Ab diesem Zeitpunkt zog sich der eine zurück und der andere übernahm das Steuer. Schon damals war er ein Meister darin, Ziele eher mit dem Seziermesser als mit dem Holzhammer zu erreichen. Ein Freischwimmer, der nicht die ganz große Welle surfte, aber immer auf dem Brett stehen blieb.
Die Mannschaft stabilisierte sich während der Saison. Es gab sogar einige emotionale Highlights wie der Last Minute Sieg in Weiler oder ein 2-1 in Sinsheim, nachdem Stefan Wally in der Kabine Marc Heller an den Kleiderhaken hängte. Ein 11ter Platz war solide, gut wars nicht. Anschließend arbeitete man sich akribisch und numerisch nachvollziehbar in die oberen Sphären der Liga. 4ter – 3ter – 2ter. Das große Ziel war immer klar:
Die Rückkehr in die Bezirksliga welche damals schon lange Kreisliga genannt wurde.
Die Mannschaft war jung und sie war hungrig. Nicht selten trunken auf dem Weg zum Ziel. Heller, Keil, Besrukow. Damals die aufmüpfige junge „Generation Aneck“. Seyfert, Schier, Oliveira, Oberli die Platzhirsche. Dazwischen mit Reimann ein guter Kapitän und Timo Maag später mit Rene Redlich die Ausnahmespieler. Böhmann musste das in dieser Zeit zusammenkleben, um Erfolg haben zu können. Er hat das geschickt gemacht. Es wäre oft ein leichtes gewesen sich emotional zu positionieren – er hat es nie getan. Er hat immer wieder verbunden was partiell auseinanderfiel. Als Besrukow wütend den Trainingsplatz verließ, weil Seyfert und ich ihm mal wieder hüfthoch und von hinten in den Torso sprangen, da hat er keine Partei ergriffen oder den jungen Spieler fallen lassen. Er hat moderiert. Du brauchst sie als Trainer eben alle. Die Gestörten ebenso wie die Waschlappen. Die Torhüter und die Linksaußen ebenso wie den 5ten Mann auf der Bank.
Diese Episode endete am 07.06.2013 mit dem Anpfiff um 19.00 Uhr. Egal wie dieses Relegationsspiel ausgegangen wäre, es war das Ende einer 4-jährigen Zeit des Strukturierens und des Aufbauens. Des Moderierens und des Freischwimmens aus alten Denkmustern.
Als sich ein junger Trainer Kuffner in der Nachbarkabine die Lunge aus dem Rachen schrie, war Georg ruhig und sachlicher den je. „Das ist kein normales Spiel heute – es ist aber trotzdem nur ein Spiel“ In dem Moment dachte ich „Schorsch, hau doch jetzt mal alles raus verdammt“ er wusste warum er es nicht tat. Mit einem schreienden und keifenden Trainer hätten wir vor dieser ungewohnten Kulisse und diesem emotionalen Spiel nach 25 Minuten 2 Gelb/Rote Karten bekommen. Er wusste, wie diese Mannschaft tickt. Es brauchte niemanden der zündelt, sondern eher jemanden der einen Flächenbrand verhindert und den Flammenwerfer ins Ziel hält. Der Kniff sollte belohnt werden…
Nächste Woche Teil 2....
Teil 2
Die fetten Jahre…
„Wir waren die klar bessere Mannschaft – meine Spieler waren heiß auf dieses Spiel“ diktierte Böhmann RNZ-Reporter Eric Schmidt in sein Notitzblöckchen. Zum ersten Mal seit dem 27.05.2001 durfte sich der stolze Traditionsverein wieder Bezirksligist nennen. Es war der zwischenzeitliche Höhepunkt dieser Ära, trotz Relegationsumweg ein Meisterstück.
Doch wieder gelang es nicht eine Euphorie Welle in die neue Liga zu transportieren. Zwar konnten im Sommer mit Lukas Hauck und Jan Kührt zwei Spieler von Format verpflichtet werden, dennoch folgte auf das Ausscheiden im Badischen Pokal eine peinliche 1-9 Klatsche gegen Helmstadt im Cup um die Kreiskrone und als sollte das nicht genug sein, gingen wiederrum die ersten 4 Ligaspiele sang- und klanglos verloren.
Ich kann mich an so manchen Montagmorgen in dieser Zeit erinnern an dem mein Handy aus blieb. Zu viel Schadenfreude und Nachfragen über WhatsApp ließen wieder einmal einige Sirenen rund um den Sportverein anspringen.
Kann diese Mannschaft Bezirksliga? Kann dieser Trainer Bezirksliga?
Die Antwort lag wie so oft auf dem Platz. Souverän wurde der Klassenerhalt nach anfänglichen Schwierigkeiten nach Hause gebracht.
Auch für diesen Erfolg mussten etliche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Gerne vergessen wird, dass es im Sommer ein erhebliches internes Theater um kurzfristig wechselnde Spieler gab und dass der spielende Co-Trainer Redlich im Winter nach kommunikativen Differenzen mit der Vorstandschaft sein Amt als Übungsleiter niederlegte.
Auch hier war wieder erhebliches Fingerspitzengefühl gefragt, um das zarte Pflänzchen und das gesamte Kollektiv nicht zu gefährden. Sicher gibt es Psychotherapeuten, die haben weniger problemorientierte Gespräche als Georg Böhmann in dieser Zeit. Etliche Male wurden Whiskey-Cola Gläser von A nach B bewegt – etliche Male wurde nervös an Zigaretten gezogen und etliche Male wurde aber auch knallhart trainiert in dieser Truppe.
Mannschaften um Georg Böhmann lebten von ihrer Körperlichkeit und von dem berühmten Meter mehr auf der Uhr.
Die folgende Saison 14/15 sollte die Krönung dieser Periode werden. Niemand hatte den SV Reihen für die vorderen Plätze auf der Rechnung. Dabei spürte man schon im Sommer ein gewisses Raunen – ganz leise hinten im Kopf – wir sind echt gut. Nicht zuletzt durch die Verpflichtungen eines Kirchardter Spielführers Klein und zweier ganz jungen hungrigen Spieler Namens Koprivnik und Karolus erwartete man sich eine zumindest nach unten sorgefreie Runde.
Sorgenfrei? Mit 8 Punkten Vorsprung wurde der SV Reihen damals Meister. Aufstieg in die Landesliga, der größte Vereinserfolg seit mehr als 40 Jahren.
Die höhere Spielklasse ein riskantes Abenteuer. Schon nach wenigen Wochen war klar, dass der Klassenerhalt eine Utopie bleibt und man sich in der Realität mit der Frage beschäftigen darf, wie man weitestgehend unbeschadet wieder nach Hause kommt. Und dennoch bleiben Momente für immer im Vereinsportfolie:
13.03. 2016 / SpVgg Ketsch 0:2 SV Reihen
04.05.2016 / SV Reihen 1:0 ASV Eppelheim
22.05.2016 / SV Reihen 3:1 VFB Gartenstadt
Die drei Siege in der Landesliga Rhein-Neckar auf einen Blick. Addiert mit nochmal drei Unentschieden bleiben 12 Punkte. Wirft man ein Auge auf die heutigen Tabellen dieser Klasse, ein mehr als respektables Ergebnis.
Die Mannschaft blieb zusammen und etablierte sich mit einem herausragenden 5. Platz wieder im Sinsheimer Oberhaus. Ein berauschender letzter Spieltag und ein aufgehender Stern von Karolus sorgten für diese denkwürdige Spielzeit. Es ist kein Zufall, dass etliche Spieler ihre Kariere eng an die Tätigkeit von Georg Böhmann geknüpft haben.
Nächste Woche Teil 3
Teil 3
„Everything I do“ - Der Robin Hood der Vorstadt
Ab der Saison 17/18 ging es nach all den turbulenten Jahren etwas ruhiger zu im Sportverein. Die Bezirksliga wurde und ist bis heute wieder selbstverständliche Realität in Reihen geworden. Neben den euphorisierenden Aufstiegen und laut gefeierten Erfolgen, ist dies die größte Leistung unter der sportlichen Administration von Georg Böhmann.
„Everything I do – I do it for you“ Alles, was ich tue – mache ich für dich.
Ebenso wie in dem Song von Brain Adams hat Schorsch alles und vor allem sich selbst den Zielen und Bedingungen des Vereins untergeordnet.
Der passende Soundtrack dieser Zeit hat aber noch so manchen Song mehr zu bieten.
Wenn Rocky Sharpe & The Replays mit Rama Lama Ding Dong aus den Boxen im August Karolus Stadion dröhnt, dann steckt hinter der simplen Tatsache, dass ein Tor für den SV Reihen gefallen ist, eine große Akribie.
Unzählige Gespräche mit potenziellen Spielern, unzählige Gespräche mit aktuellen Spielern, unzählige Absagen, Wechselabsichten, gefühlte Wertschätzungsdefizite und am Ende – nicht wenige Enttäuschungen. Keil ging nach Bammental, Besrukow nach Dühren, Karolus, Hack und Heller nach Rohrbach, Hauck und Kührt nach Steinsfurt, Koprivnik nach Gemmingen usw. usf.
„Hinter jedem Spieler, der uns verlässt, steht auch eine kleine persönliche Niederlage“ hat mir Georg bei einem unserer Interviews erzählt. Wie groß muss aber die Genugtuung sein, dass sie alle wieder da sind. Nicht weil sie mit Geld geködert wurden, sondern weil sie erkannt haben, was zählt. Weil Vertrauen und Wohlfühlen eine Währung sind.
Wie ein gewisser Robin Hood musste Böhmann es mit seinen Methoden immer wieder von den Reichen holen und gegen die Macht des Geldes ankämpfen. Dass Georg, wie ich selbst auch, aus der Reihemer Vorstadt kommt, gibt der Geschichte eine anständige Portion Working Class und Demut quasi als Schaumkrone aufs Pils.
Bis auf das Jahr 18/19 war der SV nicht einen Tag im Abstiegskampf. Im Gegenteil – resümiert man die Plätze im oberen Mittelfeld der Tabelle, erscheinen einem die Ergebnisse unter den Rahmenbedingungen, wie Meisterschaften. Ein auf Kameradschaft und Miteinander aufbauendes System hat tiefe Spuren in Reihen hinterlassen und wird den nächsten Generationen bestenfalls ein Beispiel sein. Beispiel dafür, dass es nicht auf die Kohle ankommt. Am Ende jeder Fußballerlaufbahn steht in unseren Klassen wohl kaum der Satz „Hätte ich doch mehr Geld verdient.“
Was das Ende dieser bewegenden Zeit angeht, halt ich es in der Sprache unseres Sportes. Dankesreden und Verneigungen werden kommen – vollkommen zu recht – ich möchte aber sagen:
„Die drei Punkte nimmt uns keiner mehr“
Soll heißen, egal was die Zukunft für den Verein unseres Herzens bereithält, 14 Jahre Georg Böhmann als Trainer haben wir im Sack. Als Erfolge, die für immer geschrieben sind, als Erinnerungen die Menschen in sich tragen und als Beispiel für eine kommende Zeit.
Wenn das Spiel abgepfiffen ist, besteht die Gewissheit, dass der Ball spätestens eine Woche später wieder rollt.
So aber wird Georg am Samstag den 27.05, oder womöglich wird’s schon Sonntag sein, zum letzten Mal als Trainer, über den Parkplatz vor dem Clubhaus laufen und an der Elsenz entlang Richtung Vorstadt schlendern. Er wird sich dabei eine Marlboro Light anzünden und vielleicht ganz bei sich den Song von Brain Adams pfeifen.