17.07.2023
The Iron Man
Was zeichnet wahre Superhelden aus? Vielleicht, dass sie zwar keineswegs unverwundbar, am Ende aber unzerstörbar sind. Christian Stumpf hat im Sommer zusammen mit Sascha Fuhr den SV Reihen als Trainerduo übernommen- es gibt weniger reizvolle Aufgaben im Fußballkreis – aber sicher auch einfachere als das Erbe eines Trainers zu übernehmen der über eine Dekade erfolgreich tätig war.
Christian sitzt mir im Schiedsrichterraum im Kabinentrakt gegenüber. Man merkt gleich, da ist einer der nachdenkt, der reflektiert ist und der eine große Lust auf die kommende Aufgabe spürt. Aber auch einer, der jedem Thema eine große Offenheit und Klarheit entgegenbringt. Christian weiß, wie sich Krisen anfühlen, aber auch wie man ihnen begegnet. Auf meine etwas schüchterne Frage ob wir über die schwere Zeit sprechen können, in der ein Teil seines Beines amputiert wurde, begegnet er mir mit einem achselzuckenden „Natürlich“. Man ist nie nur Trainer oder Spieler, man ist immer auch der Mensch, der dahintersteht.
Dennoch ist der Fußball in unserem zweiteiligen Gespräch im Mittelpunkt. Den ersten Teil gibt es heute auf die Augen – über ungarische Kühlschränke, menschliche Enttäuschungen und das Privileg der Aufgabe. Christian Stumpf im großen K-B Interview.
Kann man beim Fußball in die Zukunft schauen, sind Entwicklungen steuerbar und war dein Weg vom Spieler zum Trainer geplant?
Ich hatte das Glück, dass ich schon früh während meiner Laufbahn als Spieler von meinen Trainern in verschiedene Entscheidungen eingebunden wurde. Ich war viel von Verletzungen geplagt und es war klar, dass ich nicht all zu lange selbst spielen kann. Daher war es ein Stück weit vorgezeichnet, Trainer zu werden.
Die erste Anfrage kam damals vom SV Rohrbach – ich hatte dort als Spieler eine schöne Zeit - habe mich dann aber für meinen Heimatverein den TSV Steinsfurt entschieden.
Natürlich sind aber nicht alle Entwicklungen planbar und vorauszusehen.
Und wenn dir jemand vor 3 Jahren gesagt hätte, dass du beim SV Reihen Georg Böhmann beerbst und dort Trainer bist?
Georg hatte mich schon einige Jahre im Vorfeld kontaktiert. Damals habe ich mich aber entschieden in Steinsfurt zu bleiben. Es war ein sehr offenes Gespräch, jedoch waren die Umstände damals einfach nicht passend. Gerade wenn man zum Nachbarverein und damit zum großen Kontrahenten wechselt, muss man sich das gut überlegen. Ich war aber keineswegs abgeneigt. Dann habe ich aber zusätzlich ein Jahr Pause eingelegt.
Danach wurde ich zusammen mit Julian Keitel Cheftrainer in Steinsfurt.
Bedeutet, der Kontakt ist nie abgerissen?
Georg und ich hatten immer mal wieder Kontakt, der richtige Moment kam aber erst im vergangenen Sommer.
Udo Lattek hat mal gesagt, dass er am liebsten zu Vereinen gegangen ist, bei denen es sowieso scheiße läuft, weil man da nur gewinnen kann. Deine Situation ist in diesem Sommer gegenteilig, du übernimmst einen grundsoliden und in gewissermaßen erfolgsverwöhnten Kreisligisten. Spürst du dahingehend einen gewissen Druck, oder überwiegt die Lust darauf die Aufgabe zu gestalten?
Ich sehe die Aufgabe hier nicht als Druck. Ich habe verschiedene Werte in meinem Leben und die passen mit diesem Verein und den Menschen im Umfeld hier 100% überein. Als ich damals im Krankenhaus lag war Georg der erste, der mir Genesungswüsche zukommen ließ. So etwas empfinde ich als große Wertschätzung.
Was Georg hier in den vergangenen 14 Jahren erreicht hat, ist einzigartig, aber umso höher ist es doch einzuschätzen, dass Sascha und mir diese Aufgabe anvertraut wurde.
Der SV Reihen hat mir diese Tür hier geöffnet und ich möchte das mit meiner ganzen Leidenschaft und Herzblut zurückgeben. Wir vertreten hier die komplett identischen Werte, das war in jedem Gespräch im Vorfeld spürbar. Daher musste ich auch nicht lange überlegen als die Anfrage aus Reihen kam.
Ich war schon immer in Vereinen, in denen es kameradschaftlich zuging. Was allerdings hier in Reihen passiert, ist für mich einmalig und toppt alles – sei es in der Mannschaft oder dem ganzen Vereinsleben. Es ist für mich kein Zufall, dass der SV Reihen auch ohne finanzielle Zuwendungen derart tolle Spieler hat. Hier lebt jeder auch vor, was vom anderen erwartet wird.
Ich fühle mich hier unglaublich wohl und sehe die Aufgabe nur als Privileg und weniger als Druck.
"Ich hatte nicht viel Zeit mich hängen zu lassen, sondern eher die Motivation weiter zu machen"
Auch wenn die Coronazeit die Abläufe ein wenig durcheinandergebracht hat, bist du mit Steinsfurt Pokalsieger geworden und in die Landesliga aufgestiegen. Mit Julian Keitel zusammen wart ihr damals ganz junge Shootingstars als Trainer im Fußballkreis. Völlig unerwartet wurdet ihr zwei Jahre später entlassen. Aus welchen Phasen lernt ein Trainer mehr. Aus den Erfolgen oder den Krisen?
Aus Niederlagen lernst du unfassbar viel. Man denkt oft, dass man auf dem richtigen Weg ist und alles richtig macht. Was die Entlassung in Steinsfurt angeht, war ich aber weniger von unserer sportlichen Leistung, sondern mehr von den menschlichen Vorgängen enttäuscht. Wir als Trainer konnten unsere Situation in der Landesliga gut einordnen, haben in den meisten Spielen gute Leistungen gezeigt. Es war damals mehr eine zwischenmenschliche als eine fußballerische Niederlage.
Hat dich das nachhaltig geprägt? Wird man vielleicht sogar ein bisschen vorsichtiger, was freundschaftliche Beziehungen angeht?
Steinsfurt war und ist mein Heimatverein. Natürlich war ich damals sehr überrascht davon, wie man im Umfeld die Situation einschätzte und natürlich dachte man von einigen Menschen, dass sie gute Freunde sind. Es wurde allerdings nicht nur ich entlassen, sondern auch Julian Keitel. Natürlich sind das Ereignisse, die ihre Spuren hinterlassen haben und auch nachwirken. Der TSV wollte mich im Sommer zurückholen – das war allerdings kein Thema für mich. Natürlich auch aufgrund der damaligen Vorgänge.
Andererseits wäre ich ohne die Entlassung wahrscheinlich nicht hier in Reihen gelandet. Daher hat das im Nachhinein etwas sehr Positives. Eine Tür schließt sich, dafür geht eine andere auf.
Wo wir gerade bei Niederlagen und Krisen sind. Du musstest damals zusätzlich durch eine unfassbar schwere gesundheitliche Zeit gehen und hast dabei ein Teil deines Beines verloren. Du pflegst damit einen komplett lockeren und offenen Umgang. Wie meistert man derartige Ereignisse und geht man vielleicht sogar gestärkt aus solchen Zeiten hervor?
Natürlich war die Zeit im Krankenhaus und speziell als die Diagnose in Richtung Amputation ging ein Schlag ins Gesicht. Da steht die eigene Welt kurz still und man muss das Ganze erstmal verarbeiten. Als Familienvater und Ehemann denkt man dabei aber nicht nur an sich selbst, sondern eben auch an seine Kinder und Frau. Daher hatte ich nicht viel Zeit mich hängen zu lassen, sondern hatte die Motivation weiterzumachen.
Mein Kleiner sagte immer, dass Papa mit seinem neuen Roboter-Bein pfeilschnell wird, das war natürlich zusätzlich positiver Druck für mich, um weiterzukämpfen. Was seine Vorstellung angeht, dass ich wie Ironman durch die Gegend fliege wird sich zwar nicht erfüllen, aber es ist natürlich eine schöne Sache, wenn man in solchen schweren Zeiten nicht allein ist.
Ich war zwei Wochen auf der Intensivstation, daher bist du irgendwann froh einfach nur rauszukommen, selbst wenn das mit Einschränkungen verbunden ist. Klar, habe ich einen Verlust und jetzt ein Handicap. Aber ich kann auch aus dieser Situation das maximale rausholen und dafür trainieren. Du lernst durch derartige Zeiten Gesundheit ganz anders zu schätzen und wahrzunehmen.
Du bist einer der wenigen in diesem Club die was damit anfangen können, wenn ich am Bierstand Egészségedre wünsche. Erklär uns kurz, woher dein Verhältnis zu Ungarn kommt?
Meine Frau ist Ungarin und unser Sohn wird zweisprachig erzogen. Da ist die Mama sehr hartnäckig. Ungarn ist ein tolles Land, wir sind jedes Jahr dort.
Ich finde das schönste ungarische Wort heißt Hütöszekreny, zu Deutsch Kühlschrank.
Hast du ein Lieblingswort?
Bosmek (meist weibliche Rundungen über dem Bauch und unter dem Hals)
Zum Ende vom ersten Teil noch ein paar kurze Fragen:
Welcher Verein?
FC Bayern München
Welches Lied vor dem Spiel?
Früher wars manchmal Hells Bells
Welches Getränk vor dem Spiel?
Wasser
Welches Getränk nach dem Spiel?
Weizenbier
Fallrückzieher oder Grätsche?
Lieber ne schöne Grätsche
Eine Fee sagt du darfst dir noch einen Spieler aus der Kreisliga aussuchen, wer solls sein?
Julian Keitel
Das schönste Schimpfwort das dir auf dem Sportplatz jemand an den Kopf geworfen hat?
Stumpf du Schrubber
Welche Sportart, wenn nicht Fußball?
Tennis
In den nächsten Tagen folgt Teil 2. Dann reden wir über die sportliche Perspektive und die kommende Saison.
Der zweite Teil des großen K-B Sommerinterviews mit Christian Stumpf. Im Fokus der Fußball, das Problem mit zu vielen Alphatieren und der Ausblick auf die neue Saison. Also Freunde, ran an die Monokel und viel Spaß!!!
Warum wurde die Mannschaft im vergangenen Jahr 6ter? Und wie bewertest du dieses Abschneiden?
Das Resultat in der vergangenen Saison war in Ordnung. Gerne wären wir noch etwas weiter vorne in der Tabelle gelandet, dafür hat uns in gewissen Phasen aber einfach die Konstanz gefehlt. Wir haben jeweils den Start in die Vor- und Rückrunde verhauen. Wir konnten uns dann immer wieder fangen, zwischenzeitlich sogar eine Serie von 11 Spielen ohne Niederlage abliefern. Wenn du aber dagegen viele Punkte liegen lässt, landest du eher in den mittleren Regionen. Wir vom Trainerstab haben uns mit dem großen und qualitativ guten Kader mehr erhofft – auch in Sachen Engagement. Durchschnittlich 14 Spieler im Training waren zu wenig und wenn man sich an das Spiel in Zuzenhausen erinnert, als lediglich noch Christian Seyfert und Matze Schier auf der Bank waren, ist der Tabellenplatz solide.
Würdest du dich eher als Fußballromantiker bezeichnen, der das Spiel gerne einfach hält oder als modernen Coach, der auf Schienenspieler und abknickende 6er setzt?
Mir ist die Mentalität einer Mannschaft am wichtigsten. Wir bewegen uns in Klassen, in denen man nur im überschaubaren Bereich taktisch steuern muss. Viel erfolgversprechender ist eine gute Physis der Spieler und eine gewisse Harmonie im Team.
Wenn die Grundtugenden stimmen, kann man durchaus auch ein paar Ideen mit einbringen, stimmen diese nicht, ist keine taktische Vorgabe etwas wert.
Hast du ein festes Konzept und Abläufe oder reagierst du auf eine Mannschaft und gestaltest das Training und die Taktik, nachdem was die Spieler dir anbieten?
Jeder hat seine eigenen Vorstellungen und möchte diese umsetzen. Ich muss diese aber selbstverständlich auf meinen Kader und die Spieler anpassen. Gerade auf den Außenbahnen können wir bspw. in diesem Jahr anders agieren als in der Vorsaison.
Grundsätzlich geht es immer darum unter den gegebenen Möglichkeiten das Beste rauszuholen und dabei muss man als Trainer flexibel sein.
"Zu viele Alphatiere können sich auch negativ auswirken"
Braucht eine Mannschaft zwangsläufig immer einen Kopf oder kann man auch komplett im Kollektiv erfolgreich sein?
Zu viele Alphatiere können sich auch negativ auswirken. Du benötigst ein gutes Gerüst, eine Achse auf dem Platz – bestenfalls ein Führungsspieler auf jeder Linie. Ganz ohne Spieler, die vorangehen und Verantwortung übernehmen geht es nicht.
Kann man einem Spieler Leadership beibringen oder muss er alle diese Qualitäten schon in seinem Rucksack haben?
Das kann man nicht lernen. Es ist einfach eine Typenfrage, bei welcher der Spieler diese Fähigkeit mitbringt. Wir versuchen trotzdem immer wieder, gerade beim Thema Kommunikation, auf dem Platz fördernd einzuwirken. Es gibt aber Spieler, die können das einfach nicht und tun sich dabei enorm schwer. Dann gibt es andererseits Typen, wie wir beide welche waren, die genau wussten, je lauter ich bin desto leichter komm ich selbst ins Spiel. Aber einen Spieler in diese Richtung zu schleifen ist nur bedingt, eigentlich kaum möglich.
Euer Umbruch in diesem Jahr besteht nicht nur auf der Trainerbank, sondern eben auch eine Mannschaft mit 11 Abgängen zu übernehmen. Welche Chancen und welches Risiko siehst du in der veränderten Kaderstruktur? Haben die Wechsel die Hierarchie in der Truppe verändert?
Unser Kader selbst ist in dieser Saison klein und knackig. Ich habe in diese Mannschaft volles Vertrauen, wir sind uns aber der Gefahr bewusst, dass nicht viele Ausfälle gleichzeitig passieren dürfen.
Die Stimmung ist aktuell wirklich super und wir sind bestrebt diese aufrecht zu halten. Mit jedem Spielerwechsel ändert sich die Struktur, uns ist allerdings klar, dass der Umbruch, welcher aktuell im Gange ist, über mehrere Jahre dauern wird. Viele erfahrene Spieler werden in den nächsten Jahren ihre aktive Laufbahn beenden oder kürzertreten. Daher ist es unsere Aufgabe junge Spieler vom SV Reihen zu überzeugen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber zwangsläufig wird sich das Team verändern.
Sprechen wir aber über die aktuelle Saison, traue ich meiner Mannschaft alles zu. Mit ein bisschen Glück und wenig Verletzungen können wir in unserer Klasse jedem Team Paroli bieten.
Man hört im Umfeld viel Ergebnisoffenheit, was die Saisonziele angeht – wie würdest du die Ziele für die kommende Runde definieren?
Ich bin kein Freund von großen Prognosen zu definierten Tabellenplätzen. Ich will mit unserer Mannschaft jedes Spiel gewinnen. Das ist unser Ziel. Wenn wir das beherzigen können wir zu gegebener Zeit auf die Tabelle schauen.
Es ist in diesem Jahr vieles möglich – in beide Richtungen. Wichtig ist jedes Spiel mit der korrekten Einstellung anzugehen dann haben wir einen anständigen Tabellenplatz und vor allem auch den Pokal im Fokus.
Wie sind die Kompetenzen zwischen Sascha Fuhr und dir verteilt?
Wir sind beide gleichwertig aufgestellt, planen und treffen jede Entscheidung gemeinsam. Das harmoniert zwischen uns beiden perfekt und bin froh Sascha an meiner Seite zu haben.
Wie immer zum Ende noch ein paar Fragen auf den Punkt.
Du musst dich für ein System entscheiden, welches wäre das?
5 – 3 - 2
Adidas oder Puma
Adidas
Der schönste Sportplatz im Kreis Sinsheim
Reihen
Der beste Spieler gegen den du jemals gespielt hast?
Kai Herdling
Was ist am 28. Mai 2039?
Ich hoffe mal ich bin da noch am Leben.
Das hoffe ich natürlich auch. Wenn es dann so weit ist, hättest du Georg Böhmann als längsten Trainer der SV-Geschichte abgelöst.
Christian, vielen Dank für das Gespräch – dein erstes Interview im K-B. Ich hoffe nicht das Letzte und wünsche dir und mir natürlich auch, eine erfolgreiche Saison beim SV Reihen.